Es sind Szenen, die die meisten noch sehr gut vor Augen haben. Über die sogenannte „Balkanroute“ flohen in den Jahren 2015 und 2016 Millionen Menschen – vor allem Frauen, Kinder und junge Männer – vor bewaffneten Konflikten, vor Gewalt und Verfolgung nach Europa. Nach teils monatelanger, lebensgefährlicher Flucht kamen tausende von ihnen auch in Brandenburg an. Für das Rote Kreuz markierte die Unterstützung und Versorgung dieser Menschen den größten humanitären Nothilfeeinsatz seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – und den Beginn eines intensiven Engagements in der Flüchtlingshilfe.
Komplexes Hilfeleistungssystem als Schlüssel zum Erfolg
Innerhalb kürzester Zeit errichteten Einsatzkräfte des Roten Kreuzes ab Juli 2015 Notunterkünfte, übernahmen die medizinische Versorgung und soziale Betreuung der ankommenden Menschen. Rund 13.000 Menschen versorgte das Rote Kreuz bis zum Ende des Nothilfeeinsatzes in Brandenburg im Januar 2016.
Ganz im Sinne des „Komplexen Hilfeleistungssystems“ griffen alle Arbeitsbereiche des Roten Kreuzes ineinander. Egal ob Haupt- oder Ehrenamt, Mitarbeiterin in der Wohlfahrts- und Sozialarbeit oder Mitglied in der DRK-Bereitschaft – der Nothilfeeinsatz forderte alle Menschen im Roten Kreuz.
Helfen ohne Unterschied
„Wir sind als Nationale Gesellschaft der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung angetreten, menschliches Leiden überall und jederzeit zu verhüten und zu lindern, der Würde des Menschen Achtung zu verschaffen und dies ohne Unterschied von Nationalität, der ethnischen Zugehörigkeit, des Geschlechts, der Religion und der politischen Überzeugung.“
Die Worte, die Dr. Rudolf Seiters, von 2003 bis 2017 Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, im Jahr 2014 angesichts der humanitären Notlage Geflüchteter an die Öffentlichkeit richtete, beschreiben damals wie heute das Handeln und Selbstverständnis des Roten Kreuzes.
Von der Nothilfe zum Kompetenzzentrum
Dem Grundsatz der Menschlichkeit und der Hilfe nach dem Maß der Not verpflichtet hat das Rote Kreuz in Brandenburg zehn Jahre nach Beginn des Nothilfeeinsatzes nachhaltige und professionelle Strukturen für die Unterstützung von Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung aufgebaut.
Das DRK Kompetenzzentrum Flucht und Migration Brandenburg und die DRK Flüchtlingshilfe Brandenburg sind sowohl auf Landesebene als auch in mehreren Landkreisen und Kommunen aktiv. Als Betreiber der Erstaufnahmeeinrichtungen im Land Brandenburg sowie von Not- und Gemeinschaftsunterkünften und im Bereich der Migrationsberatung steht das DRK dank dieser neu geschaffenen Strukturen begleitend an der Seite der Menschen, die nach ihrer Flucht in Brandenburg ankommen.
Nothilfeeinsatz nach der Eskalation des bewaffneten Konflikts in der Ukraine
Wie einsatzfähig die seit 2015 aufgebauten DRK-Strukturen auch im Falle einer erneuten Nothilfesituation sind, wurde 2022 deutlich. Nach der Eskalation des bewaffneten Konflikts in der Ukraine suchten viele Menschen auch in Brandenburg Schutz. Erneut war das Rote Kreuz ab dem ersten Tag für die Menschen in Einsatz. Vor allem an den Bahnhöfen in Frankfurt (Oder) und Cottbus baute das Rote Kreuz Hilfestrukturen auf, versorgte tausende Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen und baute zahlreiche Not- und Gemeinschaftsunterkünfte auf.
„Beim Einsatz 2022 konnten wir viel von unseren Erfahrungen aus dem Nothilfeeinsatz 2015 sowie unserer jahrelangen Arbeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen profitieren. Wir haben im Bereich Flucht und Migration enorme Kompetenzen aufgebaut“, sagt Alexandra Föhlinger, Geschäftsführerin des DRK-Kompetenzzentrums Flucht und Migration Brandenburg.
Zehn Jahre Flüchtlingshilfe – zehn Jahre Verbandsentwicklung
Doch nicht nur mit Blick auf die Einsatzfähigkeit in Notlagen und die fachliche Kompetenz in der Arbeit mit Geflüchteten hat das Rote Kreuz enorm von den Einsätzen in den Jahren 2015 und 2022 profitiert. Auch menschlich ist das DRK gewachsen. Viele der Menschen, die vor zehn Jahren als Geflüchtete nach Brandenburg kamen und vom DRK versorgt wurden, sind heute selbst Teil der DRK-Familie. Sie arbeiten als Sozialberater in den Erstaufnahmeeinrichtungen, geben ehrenamtlich Deutschkurse, machen eine Ausbildung in einer DRK-Pflegeeinrichtung oder engagieren sich ehrenamtlich in einer der DRK-Gemeinschaften.
Zehn Jahre Flüchtlingshilfe in Brandenburg haben das Rote Kreuz somit in vielerlei Hinsicht herausgefordert und bereichert. Der Nothilfeeinsatz 2015/2016 hat eine gesamtverbandliche Entwicklung angestoßen und die Arbeit im Bereich Flucht und Migration nicht nur in Brandenburg, sondern bundesweit zu einem Hauptaufgabenfeld des DRK werden lassen.
Bild (Armin Weigel/DRK): Ein freiwilliger Helfer des DRK mit einem geflüchteten Jungen im November 2015
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