Anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen am 25. November haben wir mit Ines Schuster, Referentin für Soziale Dienste im DRK-Landesverband Brandenburg, über das Thema häusliche Gewalt in Deutschland, im Land Brandenburg und während der Corona-Pandemie gesprochen – und wo und wie sich Betroffene Hilfe holen können.
Hallo Frau Schuster, regelmäßig berichten Medien von Beziehungsdramen, in denen Frauen verletzt oder manchmal sogar ermordet werden. Wie verbreitet ist das Thema häusliche Gewalt in Deutschland?
Bundesweit ist festzustellen, dass Gewalt gegen Frauen kein seltenes Phänomen ist. Das hat auch Christine Lambrecht, geschäftsführende Bundesfrauen- und Bundesjustizministerin, im November 2021 in einer Pressemitteilung dargelegt. Zitat: „Jede Stunde werden in Deutschland durchschnittlich 13 Frauen Opfer von Gewalt in Partnerschaften.“
Damit meint Partnerschaften, dass die Taten durch Partner oder Partnerinnen, Ex-Partner oder Ex-Partnerinnen oder in bestehenden Ehe- und Lebenspartnerschaften begangen werden. Insgesamt sind 80,5 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt weiblich. 79,1 Prozent von den Tatverdächtigen sind Männer.
Wie ist die Situation im Land Brandenburg?
Die Situation für Brandenburg zeichnet sich ähnlich ab. Im Jahr 2019 wurden insgesamt 4.371 Fälle im Rahmen der häuslichen Gewalt erfasst. Davon waren 3.008 Opfer weiblich. Dies entspricht einem Anteil von 71,9 Prozent der erfassten Fälle häuslicher Gewalt. Davon waren 77,2 Prozent der Tatverdächtigen Männer.
2019 hat das Landeskriminalamt in Brandenburg 14 Straftaten gegen das Leben (Mord, Totschlag) erfasst. Darunter befanden sich acht Morde und sechs Fälle des Totschlags, von denen fünf als Versuche abgeschlossen wurden. Das heißt: Jeden Monat stirbt mindestens eine Person in Folge von häuslicher Gewalt im Land Brandenburg. Allein 2020 erfolgten im Frühjahr drei Femizide innerhalb weniger Tage in Brandenburg, was ziemlich bezeichnend ist.
Inwiefern lässt sich beurteilen, ob häusliche Gewalt eher in Städten oder in ländlichen Regionen vorkommt?
Für ein Flächenland wie Brandenburg lassen sich grundsätzlich regionale Unterschiede feststellen: Der Nordwesten Brandenburgs zeigt sich nach der Kriminalhäufigkeitszahl (die Zahl bekannt gewordener Fälle pro 100.000 Einwohner) als besonders belastet und umfasst damit die Region Prignitz-Oberhavel mit einer Kriminalhäufigkeitszahl von 291, gefolgt von Lausitz-Spreewald mit 164 gemeldeten Fällen je 100.000 Einwohner.
Das unabhängige Gutachten zur Weiterentwicklung des Landesaktionsplans zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder der Hochschule Nordhausen, herausgegeben durch das Brandenburger Sozialministerium im September 2021, kommt außerdem zu dem Fazit, dass Frauen mit Abstand am häufigsten in den kreisfreien Städten Brandenburg/Havel und Cottbus Opfer von Gewalt werden, gefolgt von den Landkreisen Ostprignitz-Ruppin, Barnim sowie Potsdam-Mittelmark.
Inwiefern ist die Gewalt gegen Frauen in der Corona-Pandemie gestiegen?
Während der Corona-Lockdowns in 2020 ist keine eindeutige Tendenz eines Anstiegs von angezeigten Fällen häuslicher Gewalt ersichtlich. In der ersten Phase der Lockdowns im Frühjahr gab es bundesweit im April 2020 einen Anstieg von 2,9 Prozent, im Mai von 3,7 Prozent. Während der zweiten Lockdown-Phase im Herbst und Winter 2020 sanken die registrierten Fälle im November um 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, im Dezember sogar um 3,2 Prozent.
Jedoch zeigt die Auswertung des bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“, dass die Beratungskontakte während der Lockdowns in 2020 um rund 15 Prozent im Vergleich zu 2019 zugenommen haben. Das sind rund 51.000 dokumentierte Beratungen mehr. Dabei ist es wichtig, zu beachten, dass es sich dabei um die gemeldeten Fälle handelt, die sogenannte Hellfeldziffer. Die Dunkelziffer von Fällen häuslicher Gewalt ist unbekannt, dürfte aber um einiges höher liegen.
Machen Corona-Einschränkungen das Leben von durch Gewalt betroffene Frauen besonders schwer?
Die Situation für Frauen im Lockdown bzw. der Corona-Pandemie ist deswegen besonders schwierig, weil das soziale und berufliche Leben in der Öffentlichkeit eingeschränkt wird und wurde. Das erschwert es Betroffenen, Hilfsangebote zu suchen und Anzeige gegen den gewalttätigen Partner bzw. die gewalttätige Partnerin zu erstatten. Außerdem wird es für Außenstehende wie Freunde, Kollegen oder Ärztinnen und Ärzte schwieriger, Gewalttaten in ihrem Umfeld wahrzunehmen.
Wir befinden uns momentan in der vierten Coronawelle und das Alltagsleben verlagert sich erneut immer mehr in die Privaträume. Denken Sie, dass manche Frauen dies aufgrund vorheriger Gewalterfahrungen während der Corona-Pandemie und in Lockdowns mit Sorge sehen?
Mit großer Sorge sehe ich die neuesten Einschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie. Denn die Erfahrung zeigt, dass angespannte Lebensverhältnisse und Situationen sich in Gewalt entladen können. Beispielsweise, wenn Menschen auf engem Raum miteinander leben und weiteren Herausforderungen wie psychischen Belastungen durch Ängste um Gesundheit, Jobverlust, Finanzen oder Zukunftsunsicherheiten ausgesetzt sind. Diese werden aufgrund der Corona-Pandemie verstärkt.
Welche Angebote bietet das Deutsche Rote Kreuz in Brandenburg, um Frauen zu helfen, die häusliche Gewalt erfahren haben?
Der DRK-Kreisverband Märkisch-Oder-Havel-Spree bietet als einzige Einrichtung im Landkreis Märkisch-Oderland von Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern Schutz in einer Frauenschutzwohnung an. Außerdem bietet der DRK-Kreisverband Niederlausitz in zwei Schutzeinrichtungen Hilfe für von Gewalt betroffenen Frauen an, jeweils eine in Forst und Guben. Neben der Schutzunterbringung betroffener Frauen und ihrer Kinder bieten die Mitarbeiterinnen auch Beratungen an, die anonym durchgeführt werden können.
Welche Unterstützung erhalten von Gewalt betroffene Menschen und Fachkräfte aus den (Schutz-)Einrichtungen?
Die bemerkenswerte Arbeit der Mitarbeiterinnen ist sehr vielfältig. Und: Notsituationen kennen keine Uhrzeit. Die Mitarbeiterinnen sind also 24 Stunden und sieben Tage in der Woche erreichbar, um die Aufnahme in den Schutzwohnungen Tag und Nacht zu ermöglichen. Neben den Schutzunterkünften für von Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern bieten die Mitarbeiterinnen der beiden Kreisverbände außerdem Beratungen für jegliche Opfer von häuslicher Gewalt an. Angesprochen werden neben Frauen auch Männer, die von häuslicher Gewalt betroffen sind.
Die Beratungen können anonym erfolgen und unterliegen der Schweigepflicht. Zur professionellen Unterstützung und Krisenintervention gehören aber noch viele weitere Aufgaben wie die Prävention von Gewalt, die Kinderbetreuung, die ambulante Fachberatung oder die Unterstützung bei Strafverfahren.
Mehrheitlich sind Frauen Opfer von häuslicher Gewalt. Inwiefern geschieht häusliche Gewalt von Frauen an Männern?
Im Vergleich zu Frauen sind Männer deutlich seltener von häuslicher Gewalt betroffen. Aber auch Männer können sich in von Gewalt betroffenen Beziehungen befinden. Ihr Anteil machte nach Angaben des Landeskriminalamts Brandenburg für 2019 28,1 Prozent der Taten im Rahmen der häuslichen Gewalt aus.
Allerdings ist das sensible Thema der Partnerschaftsgewalt besonders für Männer tabuisiert. Denn obwohl die Beratungsangebote für Männer offenstehen, werden sie weniger in Anspruch genommen. Besonders herausfordernd ist, dass für Männer nur wenige bis keine geschlechtsspezifischen Angebote oder Schutzunterkünfte zur Verfügung stehen. Auch dort gibt es Handlungsbedarf.
Neben den geschlechtsspezifischen Hilfsangeboten für Betroffene häuslicher Gewalt ist auch für vulnerable Zielgruppen wie Kinder, Jugendliche, ältere Menschen oder Geflüchtete der Zugang zu Schutzunterkünften erschwert.
Wo und wie können sich Betroffene Hilfe holen?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung: Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet Frauen unter der Nummer 08000 116 016 rund um die Uhr kostenlose und anonyme Beratungen in 18 Sprachen an. Angeboten werden auch Chat- und E-Mail-Beratungen, falls die Betroffenen nicht telefonieren können.
Damit Betroffene unauffällig auf ihre Situation aufmerksam machen können, wurde auch das Codewort „Maske 19“ eingeführt. So können sich Betroffene in Apotheken, Arztpraxen und Kliniken unauffällig Hilfe suchen – auch, wenn die Situation es durch die Anwesenheit des Partners bzw. der Partnerin nicht zulassen würde.
Für das Land Brandenburg bietet das Netzwerk brandenburgischer Frauenhäuser außerdem einen guten Überblick über verschiedene Hilfs- und Unterstützungsangebote wie Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen, Polizei-Online-Wachen, Opferhilfen und die vertrauliche Spurensuche nach Vergewaltigung.
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