Stefanie Lewis, Leiterin des DRK-Suchdiensts im DRK-Landesverband Brandenburg, bringt mit ihrem Team getrennte Menschen wieder zusammen. Obwohl die Chancen oft gering sind, hat sie schon besondere Geschichten erlebt – positive und negative. Denn nicht jeder, der gesucht wird, möchte gefunden werden.
Wie sind Sie zum DRK-Suchdienst Brandenburg gekommen?
Ich habe 2014 in der Suchdienst-Beratungsstelle in Oranienburg beim Roten Kreuz angefangen. Vorher habe ich schon beim Suchdienst des Britischen Roten Kreuzes in London ehrenamtlich gearbeitet. Seit 2015 leite ich den Bereich Suchdienst beim DRK-Landesverband Brandenburg. Vier Beraterinnen kümmern sich in Brandenburg um die Suche nach vermissten Angehörigen und beraten zum Familiennachzug. Sie bekommen Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen in den Kreisverbänden, die Suchanfragen entgegennehmen und an die Beratungsstellen weiterleiten. So versuchen wir, flächendeckend zu arbeiten. Es ist eine vielfältige und spannende Arbeit.
Warum gibt es den DRK-Suchdienst überhaupt?
Weil es unsere Aufgabe ist. Das Finden und Vermitteln von Kontakt ist eine der ursprünglichsten Aufgaben der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung. Als Henry Dunant die persönlichen Nachrichten und Gegenstände von verwundeten Soldaten entgegennahm und an deren Familienangehörige übergab, war im Grunde auch die Idee des Suchdiensts geboren. Heute ist dies im humanitären Völkerrecht verankert und die Bewegung hat sich dieser Aufgabe verschrieben. Wir überbringen Rot-Kreuz-Nachrichten an Familienangehörige in Haft, suchen nach Vermissten und Toten. Wir versuchen, Schicksale zu klären – weil wir damit beauftragt sind, aus humanitärem Antrieb, unserem ersten Grundsatz.
Welche Hintergründe haben die Suchaufträge?
Unsere Kernaufgabe ist die internationale Suche im Rahmen von Flucht und Vertreibung. Genauso kommt es vor, dass jemand das Schicksal seines Opas erfahren möchte, der im Zweiten Weltkrieg in sibirische Gefangenschaft kam und danach verschwand. Auch im Zuge der Teilung Deutschlands haben sich Familienangehörige aus den Augen verloren und suchen einander. Die Recherche nach Menschen aus dem Zweiten Weltkrieg soll allerdings bald eingestellt werden.
Warum?
Dabei handelt es sich um eine vom Bund finanzierte Aufgabe, die 2023 enden soll. Stand jetzt können noch bis Ende 2021 Anfragen nach Vermissten des Zweiten Weltkriegs gestellt werden. Bundesweit rund 10.000 Anfragen in 2019 sowie rund 9.000 weitere in 2018 zeigen: Die Schicksale von Hinterbliebenen beschäftigen Menschen noch heute. Darum hoffe ich, dass wir weiter Anfragen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg annehmen können. Das funktioniert am einfachsten über unsere Webseite, auf der jederzeit eine Suchanfrage aufgegeben werden kann.
Wie viele Anfragen bekommt der DRK-Suchdienst Brandenburg?
Die Zahl der Aufträge ist unterschiedlich. Wir haben insgesamt rund 50 Anfragen pro Jahr in der internationalen Suche aufgrund aktueller Konflikte, also etwa eine pro Woche. In den vier hauptamtlichen Beratungsstellen besteht die Möglichkeit, mit uns persönlich zu sprechen. In den Gesprächen von meist zwei bis drei Stunden sammeln wir sämtliche Informationen zur gesuchten Person und ergründen, wo und in welchen Umständen sie sich derzeit befinden könnte.
Wie sucht ihr nach Vermissten? Nutzt ihr Internet-Suchmaschinen und soziale Netzwerke?
Nein, das können die meisten Menschen selbst machen. Oft kommen Angehörige zu uns, die nicht mehr weiterwissen. Dann, wenn beispielsweise afghanische Eltern bei der Flucht von ihrem zwölfjährigen Sohn getrennt wurden und nicht wissen, wo er sich befindet, wenn es keine bekannten Adressen und Telefonnummern gibt, kommen wir ins Spiel. Wenn der Suchende zustimmt, haken wir auch bei örtlichen Behörden nach, so etwas wie Einwohnermeldeämtern zum Beispiel. Das klappt aber nicht immer.
Wie meinen Sie das?
Manchmal bekommen wir nur vage Informationen zum letzten bekannten Aufenthaltsort. Wenn es in einem Land kein Adresssystem gibt, versuchen wir, mit Nachfragen das Gebiet einzugrenzen: War ein Fluss in der Nähe, ein Gebirge oder eine Moschee? Sämtliche Informationen geben wir dann an den DRK-Suchdienst nach München, der die Daten für internationale Suchen bündelt. Dieser wiederum tauscht sich, in Ländern, in denen Krieg herrscht, mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz aus oder kontaktiert lokale Rotkreuz-Organisationen, die die Informationen verteilen. Deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen sich dann in über 90 Ländern daran, die Menschen wiederzufinden. Zum Teil gehen sie zu Fuß durch Dörfer, klopfen an Haustüren und suchen nach Anhaltspunkten. Am effektivsten ist die Suche allerdings über TraceTheFace.org. Dort kann sich jeder anmelden, der gefunden werden möchte, indem er anonym ein Bild hochlädt. Das Projekt gibt es in 45 Ländern weltweit und wird auf Fluchtrouten beworben. Es hat schon dazu geführt, dass sich einige Familien wiedergefunden haben.
Wie wahrscheinlich ist es, dass ihr einen vermissten Menschen wiederfindet?
Manchmal klappt das schneller als man denkt. Ich erinnere mich, dass ein Sohn seine verschwundene Mutter suchte. Beide wurden getrennt. Ich war dann doch euphorisch, als kurz darauf eine Rückmeldung von der Mutter kam – und enttäuscht. Beide hatten alte Rechnungen offen und sich zerstritten. Dementsprechend fragte seine Mutter den DRK-Suchdienst, was er von ihr wolle und den Kontakt abgelehnt. Jeder Gesuchte hat das Recht darauf, nicht gefunden zu werden. Das ist eben auch ein Punkt: Wie reagiert die gesuchte Person, wenn wir sie kontaktieren? Wenn wir den Kontakt schaffen, ist das immer emotional, aber nicht immer schön.
Gibt es eine Geschichte, an die Sie sich gerne erinnern?
Vor ein paar Jahren hat eine junge Frau ihre Mutter gesucht. Die Mutter war nach Europa geflohen, als sie noch ein Kind war. Nun vermutete sie, dass ihre Mutter in Deutschland lebt – und lag richtig. Als wenige Monate später mein Telefon klingelte und eine weinende Frau dran war, habe ich geahnt, worum es geht. Anschließend habe ich die Nummer der Mutter an ihre Tochter weitergegeben. Nach über 20 Jahren konnten sie endlich wieder miteinander sprechen.
Wissen Sie, wie es danach für Mutter und Tochter weitergegangen ist?
Mit dem Austausch von Kontaktdaten endet unser Job im Suchdienst. Ob sie danach telefoniert oder sich getroffen haben, weiß ich nicht. Trotzdem hat es mich enorm gefreut, die Grundlage dafür geschaffen zu haben, dass beide sich wiedersehen können. Ich habe eine Mail an alle in der Geschäftsstelle des DRK-Landesverbands Brandenburg geschrieben und bin durchs Büro getanzt. Genau solche Momente sind es, die uns motivieren, bei jeder Suche unser Bestes zu geben. Wir möchten dazu beitragen, dass Familien wieder zueinander finden. Geschichten wie diese zeigen: Es kann funktionieren.
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