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Videodolmetschen in DRK-Beratungsstellen: Warum das so wichtig ist und mehr Förderung braucht

Symbolbild: Videodolmetschen in Kitas Jörg F. Müller/DRK

Mit dem Projekt „Videodolmetschen – Zusammen stark!“ hat der DRK-Landesverband Brandenburg e. V. in Kooperation mit dem DRK-Kreisverband Fläming-Spreewald e. V. zwischen 2020 und 2022 den Einsatz von Videodolmetschprogrammen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe erprobt. Nach Abschluss des Projekts auf Landesverbandsebene zum Ende des Jahres 2022 wird es nun in Einrichtungen des DRK-Kreisverbands Fläming-Spreewald e.V. fortgeführt. Die Erfahrung aus den teilnehmenden Einrichtungen zeigte: Die Möglichkeit, bei Elterngesprächen unkompliziert auf Dolmetschende per Video zugreifen zu können, verbessert die Kommunikation zwischen pädagogischem Fachpersonal und Familien mit Fluchtgeschichte enorm. Sven Veigel-Sternberger, Referent für Flüchtlingshilfe und Migration beim DRK-Landesverband Brandenburg e. V., erklärt im Interview, wie wichtig das niedrigschwellige Angebot der Sprachmittlung für Kinder, Eltern und Fachpersonal ist und weshalb es unbedingt auf weitere Beratungsbereiche ausgeweitet werden soll.

Im Rahmen des Projekts „Videodolmetschen – Zusammen stark!“ konnten zwei Kitas, ein Hort, eine Eltern-Kind-Gruppe und eine Frühförder- und Beratungsstelle des DRK-Kreisverbands Fläming-Spreewald e.V. bei Gesprächen mit Eltern mit Fluchtgeschichte ein Videodolmetschprogramm einsetzen.

Die Einrichtungen betonen, wie sehr sie davon profitieren: Die Kommunikation mit Eltern, die keine oder wenig Deutschkenntnisse haben, habe sich dadurch enorm verbessert. Was genau erreicht man mit der verbesserten Kommunikation?

Sven Veigel-Sternberger: Das kommt stark auf den Schwerpunkt der Einrichtung an. In der Frühförder- und Beratungsstelle in Luckenwalde etwa steht die Beratung der Eltern im Vordergrund. Die Mitarbeitenden verbringen mehrere Stunden mit den Familien und prüfen, ob eine Frühförderung eines Kindes nötig ist. Diese zu beantragen ist mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden. Die pädagogischen Fachkräfte beraten die Eltern unter anderem zu komplexen rechtlichen Fragen und speziellen Bildungsplänen für Kinder mit Frühförderbedarf.

Der Einsatz von Videodolmetschprogrammen in der Frühförder- und Beratungsstelle Luckenwalde hat die Qualität der Beratung in diesen Familien stark verbessert: Nach der Beratung mit der Hilfe von Videodolmetschenden können die Fachkräfte sicher sein, dass Familien mit Flucht- oder Migrationsgeschichte tatsächlich wissen, worum es genau geht. Dass die Eltern alle Einzelheiten dieser Beratungsgespräche verstehen, ist essenziell für das Wohl des Kindes. Verständigungsprobleme sind nicht nur frustrierend für Eltern und Fachpersonal – schlimmstenfalls werden in der Folge die Bedarfe der Kinder nicht erfüllt.

Und was erreicht man mit dem Einsatz von Videodolmetschprogrammen in Kitas?

Sven Veigel-Sternberger: In Kitas hingegen steht die direkte Arbeit mit den Kindern im Fokus. In der Kommunikation mit den Kindern wurde die Software nicht eingesetzt, da hierdurch ihre sprachliche Entwicklung beeinträchtigt worden wäre. Aber auch hier war das Videodolmetschen in der Arbeit mit den Eltern enorm wertvoll. Eine Kommunikation ohne Sprachbarrieren baut Vertrauen auf und hilft dabei, den Eltern aus Familien mit Flucht- oder Migrationsgeschichte die Idee von Kindertagesbetreuung und den Alltag in der Einrichtung vorzustellen. So vermeidet man Missverständnisse, etwa zu Abholzeiten, zur Eingewöhnung, aber auch zu rechtlichen oder finanziellen Aspekten und insbesondere in Bezug auf den Übergang in die Grundschule.

Vielen Eltern mit Fluchtgeschichte ist das Konzept von Kitas aus ihren Herkunftsländern gar nicht bekannt. Durch das Videodolmetschen haben die Kitas festgestellt, an welchen Stellen sie mehr kommunizieren müssen, um diese Familien gut in den Kita-Alltag zu integrieren. Es geht hier um Kommunikation auf Augenhöhe, die beide Seiten sehr schätzen.

Vor allem aber steht die Entwicklung der Kinder im Mittelpunkt: In Familien mit Fluchtgeschichte übernehmen Kinder oft die Rolle von Dolmetschenden, weil sie die neue Sprache häufig schneller lernen als ihre Eltern. Wenn Kinder für ihre Eltern wichtige und komplexe Gespräche oder gar Gespräche über ihre eigene Entwicklung oder traumatische Vorerfahrungen dolmetschen müssen, verschieben sich die Rollen innerhalb der Familie. Das kann für Kinder psychisch sehr belastend sein. Setzt man in solchen Gesprächen stattdessen Videodolmetschende ein, schafft man eine gesundheitliche Entlastung für die Kinder.

Warum ist Ausweitung der Förderung von Videodolmetschprogrammen in diesen Bereichen dringend notwendig?

Sven Veigel-Sternberger: Der Einsatz von Videodolmetschprogrammen ist ressourcenschonend, weil man unkompliziert und bei vielen Sprachen ad hoc auf Sprachmittlung zugreifen kann. Er ist zudem nervenschonend: Wenn pädagogisches Fachpersonal in der Kommunikation mit Eltern wichtige Informationen nicht vermitteln kann, ist das frustrierend – für beide Seiten, und am Ende natürlich auch für die Kinder, um die es ja vordergründig geht.

Wenn ein kurzer Austausch funktioniert, weil per Video eine Dolmetscherin zugeschaltet ist, gehen Eltern und Fachpersonal mit einem guten Gefühl aus dem Gespräch. Über das Videodolmetschen erreicht man also eine verbesserte Elternarbeit und eine bessere Elternpartizipation. Familien mit Fluchtgeschichte erhalten dadurch die gleichen Teilhabechancen wie alle anderen Familien und werden nicht ausgegrenzt. Teilhabe für alle sollte der Normalzustand sein.

Hinzu kommt die bereits geschilderte Entlastung der Kinder: Wenn sie nicht mehr für Eltern dolmetschen müssen, rückt das Wohl der Kinder in den Mittelpunkt – und das sollte immer der Fall sein.

In welchen weiteren Bereichen wäre der Einsatz von Videodolmetschprogrammen lohnenswert? Wer könnte alles davon profitieren?

Sven Veigel-Sternberger: Sprachbarrieren erschweren die Kommunikation in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das müssen wir ändern. Mit vergleichsweise wenig eingesetzten Ressourcen ließe sich durch die flächendeckende Einführung von Videodolmetschprogrammen viel erreichen.

Das Land Thüringen etwa geht hier mit gutem Beispiel voran: Das dortige Landesprogramm Dolmetschen ist ein kostenloses Angebot für fast alle Bereiche der Gesellschaft, in denen Beratung von Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte eine Rolle spielt – Schule, Behörden, Justiz, Polizei, medizinische Einrichtungen, Frauenhäuser und so weiter. Alle Stellen, die das Angebot nutzen, sind begeistert. Der kostenlose Einsatz von Videodolmetschprogrammen fördert den reibungslosen Informationsaustausch in Beratungssituationen und ermöglicht Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte dadurch mehr Chancen auf Teilhabe.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen sind aber noch weitreichender: Es gibt weniger Konflikte, beispielsweise bei der Arbeit mit der Polizei, und Prozesse bei Behörden laufen schneller und reibungsloser. Darüber hinaus kann der frühzeitige Einsatz von Videodolmetschprogrammen langfristig gesamtgesellschaftliche Folgekosten massiv reduzieren, etwa in den Bereichen Justiz und Gesundheit. Ein klassisches Beispiel: Bei einer Krankheit sollte das oberste Ziel sein, eine Chronifizierung zu vermeiden. Misslingt aufgrund von Sprachbarrieren zu Beginn einer Erkrankung die Kommunikation zwischen Erkrankten und ärztlichem Personal, wird eine eigentlich behandelbare Erkrankung womöglich zu einer chronischen. Die gesellschaftlichen Folgekosten der chronischen Erkrankung sind im Vergleich zu einer frühzeitigen Beratung oder Aufklärung mit Videodolmetschenden deutlich höher.

Der Einsatz von Videodolmetschprogrammen sollte also dringend für zahlreiche Beratungsbereiche gefördert werden, auch in Brandenburg.

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