Für Menschen, die aus ihren Heimatländern geflüchtet sind und Fragen zum Ankommen, Leben, Zurechtkommen in Deutschland haben, gibt es Migrationsberatung, auch beim DRK. Auch für Menschen mit Behinderung gibt es Beratungsangebote und Unterstützung für mehr Teilhabe. Und was ist mit den Menschen, die beides sind – Geflüchtete mit Behinderung? Die Bedarfe dieser besonders vulnerablen Gruppe werden in Deutschland bislang zu wenig wahrgenommen und entsprechend unzureichend berücksichtigt. Das DRK bietet hier Lösungsvorschläge.
Haben Geflüchtete mit Behinderung Zugang zu einer angemessenen gesundheitlichen Versorgung? Sind sie behindertengerecht untergebracht? Wird ihre Teilhabe am Lebensalltag mitgedacht? Diesen Fragen geht der DRK-Landesverband Brandenburg gemeinsam mit den Landesverbänden Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein unter der Koordination des DRK-Generalsekretariats in dem Projekt „Bedarfserhebung von Geflüchteten mit Behinderungen“ nach. Seit September 2020 haben die Projektbeteiligten Publikationen zu dem Thema ausgewertet und rund 70 Interviews geführt – mit Betroffenen sowie mit Menschen, die in Betreuungs- und Beratungseinrichtungen oder in der Verwaltung mit deren Belangen zu tun haben.
Ziel: Versorgungslücken offenlegen und Handlungsempfehlungen geben
Ziel ist es, Versorgungslücken für Geflüchtete mit Behinderung offenzulegen und Handlungsempfehlungen zu geben, wie deren spezielle Bedarfe von Anfang an mitgedacht, identifiziert und berücksichtigt werden können – und auch sollten.
Geflüchtete mit Behinderung hat es schon immer gegeben, sagt Wolfram Buttschardt, Projektreferent Flucht und Behinderung im DRK-Landesverband Brandenburg. „Sie werden aber in Deutschland nicht systematisch erfasst.“ Ihre besondere Schutzbedürftigkeit werde in der Folge größtenteils nicht mitgedacht – angefangen bei den Aufnahmeeinrichtungen, die nicht per se behindertengerecht sind, bis hin zu der oft wahllosen Zuweisung von Geflüchteten zu Kommunen, deren Infrastruktur eine gute Versorgung und Inklusion von Menschen mit Behinderung womöglich erschwert.
Bewusstsein für Geflüchtete mit Behinderung ist gewachsen
„Mittlerweile ist das Bewusstsein dafür, dass es auch Geflüchtete mit Behinderung gibt, etwas größer und es besteht auf allen Ebenen die Bereitschaft daran zu arbeiten“, sagt Wolfram Buttschardt. Lange Zeit sei das politische Interesse an der Schnittstelle von Flucht und Behinderung jedoch kaum vorhanden gewesen – weil dies die ohnehin schon komplizierte Thematik rund um Flucht, Asyl und Integration und die jeweiligen Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Kommunen zusätzlich erschwere. „Die Länder tun viel in Sachen Integration, aber bisher hat kein Land richtig inklusiv gedacht“, sagt Wolfram Buttschardt. Das müsse man umdenken, „dann klappt das auch“.
In Brandenburg hat sich beim Thema Flucht und Behinderung einiges getan
Zwei positive Beispiele für einen Gegentrend: Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass vulnerable Gruppen bei Asylverfahren von Anfang an mitgedacht und besonders unterstützt werden sollen. Und: In Brandenburg gibt es die Unter-AG Geflüchtete mit Behinderung der Arbeitsgemeinschaft Flucht und Asyl. Diese ermittelt, wo in Brandenburg das Versorgungsnetz (Schulen, Einrichtungen, Unterstützungsstrukturen) für Menschen mit Behinderung besonders gut ist. Geflüchtete mit Behinderung sollten aus den Erstaufnahmeeinrichtungen dann vorwiegend solchen Kommunen zugewiesen werden. Durch die Unter-AG habe sich in Brandenburg, das mit diesem Ansatz eine Vorreiterrolle innehat, bezüglich Flucht und Behinderung einiges getan, sagt Wolfram Buttschardt.
Probleme beginnen in den Erstaufnahmeeinrichtungen
Die Bedarfserhebung des DRK zeigt, dass das Nicht-Mitdenken von Geflüchteten mit Behinderung bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen beginnt und sich dann fortzieht: Erstaufnahmeeinrichtungen und andere Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete liegen oft weit außerhalb von Kommunen – für Menschen, die wegen ihrer Behinderung regelmäßige medizinische Behandlung brauchen, ein Problem. Zudem sind solche Einrichtungen oft nur bedingt oder nicht barrierefrei.
Auch die Dauer der Unterbringung in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder sei ein Problem. „Menschen mit Behinderung sollten schneller in den Kommunen untergebracht werden“, sagt Wolfram Buttschardt. Und zwar: in passenden Kommunen, deren Infrastruktur den individuellen Bedarfen dieser Menschen mit Behinderung gerecht wird.
Kommunkationsprobleme oft Ursache für unzureichende Versorgung
Die Bedarfserhebung hat zudem ergeben, dass eine unzureichende Versorgung von Geflüchteten mit Behinderung oft die Folge von Kommunikationsproblemen ist. Betroffene haben oft keinen Zugang zu für sie wichtigen Informationen. Für wichtige Behörden- oder Arztbesuche bräuchten hörbehinderte Geflüchtete etwa Verdolmetschungen nicht nur vom Deutschen in die Landessprache und zurück, sondern auch noch über die jeweiligen Gebärdensprachen. Das ist kompliziert und wird daher meist nicht angeboten. Oder Sprachkurse: Für viele Aufenthaltsberechtigte sind Integrationskurse verpflichtend. Für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung gibt es bisher noch kein spezialisiertes Angebot. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat aber signalisiert, hier tätig zu werden.
Verschiedene Rechtskreise erschweren gute Versorgung von Geflüchteten mit Behinderung
Auch die Tatsache, dass für Menschen mit Behinderung und für Geflüchtete verschiedene Rechtskreise zuständig sind, erschwert die gute Versorgung von Geflüchteten mit Behinderung. „Solange eine Person Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz erhält, kann sie keine Anträge für Leistungen nach dem Bundesteilhabegesetz stellen“, sagt Wolfram Buttschardt. Eine gute Kommunikation zwischen Zuständigen beider Rechtskreise gibt es im Hinblick auf die Bedarfe von Geflüchteten mit Behinderung oft nicht.
Problematisch ist laut Wolfram Buttschardt auch, dass die Beratungs- und Unterstützungsangebote von Städten, Gemeinden und sozialen Einrichtungen oft undurchsichtig und schwer zu finden sind. Dies stellt Betroffene vor große Herausforderungen, das passende Angebot zu finden. Um vorhandene Strukturen besser zu nutzen, wäre eine bessere Vernetzung zwischen verschiedenen Stellen wünschenswert: zwischen Kommunen; zwischen Ländern und Kommunen; zwischen den Einrichtungen, die Unterstützung für Menschen mit Behinderung und solchen, die Beratung für Geflüchtete anbieten; zwischen solchen Einrichtungen und Behörden; zwischen verschiedenen Ebenen innerhalb der Behörden und Einrichtungen.
Umdenken gefordert – nach Stärken der Menschen fragen
Langfristig wünscht sich DRK-Projektreferent Wolfram Buttschardt außerdem ein großes Umdenken, das Geflüchtete mit Behinderung aus dem Fokus der Hilfsbedürftigen herausholt und stattdessen nach deren Stärken fragt, „um zu zeigen, dass wir auf Augenhöhe sind“. Man sei, gerade in Behörden, auf die Frage fokussiert: Was wollen die? „Man könnte aber auch fragen: Was könnt ihr? Diese Menschen bringen ja auch ganz viele Ressourcen mit.“
- Im August 2022 stellen die Projektbeteiligten der drei DRK-Landesverbände Brandenburg, Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe und des DRK-Generalsekretariats die Ergebnisse der „Bedarfserhebung von Geflüchteten mit Behinderungen“ bei einer Online-Veranstaltung vor.
- Mehr Informationen zum Projekt gibt es hier und hier.
- Ein Interview mit Wolfram Buttschardt zum Projekt können Sie hier nachlese
Symbolbild (Mareike Günsche): Mädchen im Rollstuhlim sogenannten „Warteraum für Asylsuchende“ auf dem Gelände der Gäubodenkaserne der Bundeswehr in Feldkirchen bei Straubing, betrieben von mehreren Rotkreuzgesellschaften und der Bundeswehr.
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